Freitag, Mai 01, 2009

Die Statuten von 1727 - II. Brüderlicher Verein und Willkür

Die Herrnhuter Statuten von 1727, quasi die Ordnung des Lebens in Herrnhut, zitiert nach "Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder - Quellen zur Geschichte der Brüder-Unität von 1722 bis 1760", Friedrich Wittig Verlag 1977:

II. Brüderlicher Verein und Willkür

1. In Herrnhut soll zu ewigen Zeiten nicht vergessen werden, daß es auf den lebendigen Gott erbaut und ein Werk seiner allmächtigen Hand, auch eigentlich kein neuer Ort, sondern nur eine für Brüder und um der Brüder willen errichtete Anstalt sei.

2. Herrnhut mit seinen eigentlichen Einwohnern soll in beständiger liebe mit allen Brüdern und Kindern Gottes in allen Religionen [Konfessionen] stehen, kein Beurteilen, Zanken oder etwas Ungebührliches gegen Andersgesinnte vornehmen, wohl aber sich selbst und die evangelische Lauterkeit, Einfalt und Gnade unter sich zu bewahren suchen.

3. Dieses sind die Kennzeichen eines Mitglieds an Christi Leib, welche wir in Herrnhut nach dem auf das bloße Wort Gottes gebauten einfältigen Grunde, darauf wir stehen, gewiß achten: Ein jeglicher, der da nicht bekennt, daß ihn die bloße Erbarmung Gottes in Christo ergriffen, und er derselbigen nicht einen Augenblick entbehren könne, daß auch die größte Vollkommenheit des Lebens, wo sie zu erhalten wäre ohne Jesu auf sein Blut und Verdienst gegründete Fürbitte, bei Gott gar schlecht angesehen sei, in Christo aber angenehm werde, und neben dem nicht täglich beweist, daß es ihm ein ganzer Ernst sei, die Sünde, die Christus gebüßt, wegnehmen zu lassen, und täglich heiliger, dem ersten Bilde Gottes ähnlicher, von aller Anklebung der Kreatur, Eitelkeit und Eigenwillen täglich reiner zu werden, zu wandeln wie Jesus gewandelt hat und seine Schmach zu tragen, der ist wahrhaftig kein Bruder. Wer aber dieses beides hat, daß er den Glauben an Jesum reinem Gewissen bewahre, der soll es auf keine Weise dahin bringen, wenn er schon sektierisch, fanatisch, oder sonst mangelhaft in Meinungen ist, daß man ihn unter uns geringschätzt, oder da er sich von uns trennt, sogleich wieder verlasse, sondern man soll ihm nachgehen mit Liebe, Geduld und Sanftmut vertragen und verschonen. Wer aber von obigen beiden Stücken zwar nicht abgeht, aber doch nicht beharrlich darinnen wandelt, soll für einen Lahmen und Strauchelnden geachtet, doch mit Sanftmut zurecht gewiesen werden.

4. Solange man sieht, daß kein Handwerk daraus wird, ist es gut, daß gewisse Tage bei der Gemeine überhaupt in sonderlichem Andenken der Treue Gottes mit Fasten und Beten oder Dank und Verherrlichung des Herrn zugebracht werden, sonderlich der Tag des Ausgangs der ersten Brüder, der 12. Mai, an welchem viel Taten unter uns in verschiedenen Jahren geschehen sind, und daß ein jeglicher die Tage, so ihm besonders merkwürdig sind, mit seinen vertrauten Brüdern dem Herr opfert.

5. Die sich das Kirchenwesen nach der Freiheit mit gefallen lassen, haben billig die Ursachen und daß die menschlichen Satzungen nicht sowohl approbiert, als in Demut aus Liebe und Gehorsam nach der christlichen Freiheit gebraucht werden, bis der Herr selbst eine Änderung mache, bei Gelegenheit anzuzeigen. On dem aber, was unter uns dermaleinst könnte geordnet werden, soll Einfalt und Erbauung gesucht werden.

6. Welcher an andern Orten der Beichte nicht gewohnt, oder dem solche anstößig ist, soll in Berthelsdorf von Herrschaftswegen darzu nicht genötigt werden. Keiner aber soll, Unordnung und Leichtsinnigkeit zu verhüten, zum Abendmahl kommen, wenn ihn der Lehrer in Berthelsdorf nicht genugsam kennt.

7. Keiner soll sich mit offenbar gottlosen und verkehrten oder weltlich gesinnten Leuten vertraulichen Umgang zum Anstoß anderer einlassen, jedoch denselben nach aller Möglichkeit billig und treuherzig begegnen und sich gegen dieselbe in keine Heftigkeit bringen lassen.

8. Ein jeglicher soll sich befleißigen, den rechten gemeinschaftlichen Grund der lebendigen Lehre zu fassen, darauf wir gebaut sind, damit wir den Widersachern mit Bescheidenheit und Weisheit in der Kraft antworten können, und ein jeglicher für den anderen stehen.

9. Wenn sich bei Seelen was Gutes zeigt, so soll man sich mit frühzeitigem Urteil an ihnen nicht vergehen, vielmehr Gott danken, Geduld haben, auf die Frucht warten und ihnen auf alle ersinnliche Weise die Hand bieten.

10. Überhaupt soll das verwegene Richten seines Nächsten ohne augenscheinlichen Beweis und ohne vorgehenden Gebrauch aller Grade [der brüderlichen Bestrafung] unter uns ein Greuel, und ein jeder berechtigt sein, den andern darüber zu bestrafen.

11. Vorsteher, Älteste und andere so sich mit Gewinn und Führung der Seelen zu tun machen, sollen sich deswegen in keinen Verdacht kommen, wenn sie mit diesem oder jenem oft umgehen und vieles besonderes reden.

12. Weil der meisten gegenwärtigen Einwohner Hauptzweck die Gewinnung der Seelen zu Christo ist, so soll in Herrnhut jedwedem freistehen, mit einem zu Zeiten mehr oder vertraulicher als mit dem andern umzugehen und hierinnen nach Beschaffenheit der Umstände zu ändern, wenn es nicht  um Beleidigung willen geschieht. Zwischen ledigen Manns- und Weibspersonen soll der vertrauliche Umgang nicht schlechterdings erlaubt sein, vielmehr haben die Ältesten Macht solchen zu hemmen, sobald sie die geringste Bedenklichkeit dabei haben, er habe auch so guten Zweck als er wolle.

13. Neid, Verdacht und unzeitiges Ärgernis an den Brüdern soll sehr ernstlich vermieden werden. Sonderlich da jedweder frei hat den Umgang des andern zu suchen, soll keiner darüber verdrießlich sein, wenn ein anderer mehr mit den Ältesten bekannt zu sein scheint.

14. Von Gott und göttlichen Dingen soll um der Schwachen willen nicht leichthin, sondern mit großer Ehrerbietung gesprochen werden.

15. Die Brüder sollen nach Art der ersten Gemeine einander alles zu Liebe tun in der Freiheit, was nur möglich ist, ja über Vermögen sollen sie selbst willig dazu sein. Allen andern Menschen sollen sie tun, wie sie gegen sich selbst gern gehandelt sähen.

16. Die Gabe dazu empfangen haben, sollen reden, die anderen aber richten.

17. Wer sich am besten zum andern schickt, der mag ohne Bedenken mit demselben vorzüglich umgehen, sich im Gebet vereinigen und was die besondere Gemeinschaft mit sich bringt; nur daß die herzliche Bruderliebe gegen die übrigen nicht aus der Acht gelassen werde. Ja es ist eine Pflicht, daß, die einander besonders kennen, in der Lehre, Ermahnung, Bestrafung, Trost, Entschuldigung und ganzen Haushaltung des Geistes einander die Hand reichen.

18. Kein Bruder soll ohne Vorbewußt der andern zünftig werden. Hingegen soll auch keine Hantierung unter uns an und für sich selbst unehrlich geachtet werden.

19. Keiner soll seinen Nächsten die geringste Überlast tun, viel weniger ihn hintergehen.

20. Keine Ehe soll ohne Vorbewußt der Ältesten beschlossen, noch ein Verlöbnis ohne ihre Gegenwart oder Genehmhaltung gültig sein.

21. Kein Sohn soll den Vater oder die Mutter aus dem Hause und Brote heißen, solange sie bei ihm bleiben und in der Stille ihr Wesen schaffen wollen.

22. Aller Aberglauben und Zeichendeutung soll aus Herrnhut verbannt sein, und soll dergleichen Märlein von Geistern, Ahnden, Vorbedeutungen, Totenvogel, Beobachtungen bei Kindbetterinnen und dergleichen für eine schädliche Narrheit geachtet werden.

23. Weil täglich gewisse Personen Erweckung brauchen, so soll täglich Gelegenheit dazu in Herrnhut gemacht werden, dabei aber zu erscheinen, wenn nicht die ganze Gemeine zusammengerufen ist, niemand genötigt werden.

24. Wenn jemand fehlt, soll er sich´s für Schande achten, deswegen vorgefordert, ermahnt und bestraft zu werden. Solches soll er in Liebe und Demut annehmen, nicht retorquieren [abwenden] oder sich deswegen der Gemeinschaft entziehen. Auch soll darüber keiner, dem es nicht anbefohlen, urteilen und richten oder Gespräche davon anstellen.

25. Wer einem gegen andere etwas nachredet, das er nicht beweisen kann, der soll gehalten sein, den Grund seiner Rede den Ältesten darzutun, sodann aber bei Gelegenheit, was er ausgesprochen, widerrufen, es klage gleich der Beleidigte oder nicht.

26. Wenn in öffentlicher Gesellschaft von andern nachteilig gesprochen wird, welches ohnedem ohne die gegründetste Ursach nicht geschehen darf, so soll ein jeder Macht haben, demjenigen, von dem geredet ist, solches weiterzusagen, jedoch ohne Benennung des Beleidigers.

27. Es sollen sich gewisse Brüder in Verleugnung aus Liebe dargeben, die mit Krank- oder Schwachheit befallenen Mitglieder zu besuchen, ihre Pfleg und Wartung zu besorgen und nach Gelegenheit selbst zu verrichten. Es soll auch, solange Gott einen Arzt gönnt, der ein Bruder ist, ein jeder Einwohner von Herrnhut, der sich unserer Krankenwartung und Vorsorge bedienen will, seine Schwachheiten und Zufälle ihm, ehe er einen andern um Rat fragt, bald anfangs melden, und seinem treuen Rat folgen, kein anderer aber, der das Werk nicht versteht, durch verwegene Kuren sich an seines Nächsten Leibe vergreifen.

28. Die Kranken sollen den Krankenwärtern beiderlei Geschlechts bald anfänglich angezeigt, und was der Arzt und sie alsdann verordnen werden, sowohl von dem Kranken aus Gehorsam als von denen, die um ihn sind aus Liebe wohl in acht genommen werden.

29. Was einem vertraut oder was man gehört hat und einem nicht erlaubt worden, es wieder zu sagen, soll ein jeder sorgfältig verschweigen. Keiner soll auch vertrauten Geheimnissen leichtlich Gehör und Glauben geben.

30. Keiner soll dem andern etwas nachtragen, sondern ihm sogleich (Herrschaft und Lehrer nicht ausgeschlossen) freundlich und geziemend entweder selbst oder durch andere über die anstößige Sache erinnern. Zusammengesparte Klagen sollen nicht einmal angehört, Zänkereien aber, Mißgunst und eigenwillige Trennungen von allen verabscheut und, die daran schuld sind, nach gebrauchten Graden als Heiden angesehen werden.

31. Ein Handwerksmann und ein Künstler soll sein Wort auf den Tag halten, oder wenigstens ein oder zwei Tage vorher die Ursach, warum er´s nicht halten kann, dem Besteller anzeigen.

32. Alle rechtliche Erkenntnis, soviel die mit diesen Statuten übereinkommenden Brüder betrifft, soll sich auf die klaren Gebote Gottes, auf diese Statuten und auf die natürliche Billigkeit gründen.

33. Es soll alles mit freundlicher Bestrafung versucht, wer aber sich damit nicht gewinnen lässt, den Ort zu meiden angehalten werden.

34. Alle Sonnabend soll von den Ältesten eine Konferenz gehalten, und wer dazu gefordert wird, unwidersprechlich erscheinen, oder da er zweimal ungehorsamlich ausbleibt oder sich widerspenstig erzeigt, den Ort räumen.

35. Bei dem Wachen sollen die Brüder der Gemeine zur Aufmunterung einen erbaulichen Vers aus einem Liede mit lauter Stimme absingen.

36. Alle die einfältigen Lehren, Exempel oder Regeln Jesu und seiner Apostel sollen die besondere und allgemeine Regel unserer Lehre, Ermahnung und Weissagung sein.

37. Wer in beharrlicher offenbarer Unlauterkeit und beweislichem leichtsinnigen Wesen wandelt und deshalb solange ermahnt ist, daß ihm ohne Anstoß nicht länger zuzusehen, der soll vor den Ältesten mit Ernst gebunden, von den Brüdern ausgetan und nicht ehe in die Liebesvereinigung eingenommen werden, er habe denn seiner wahren Änderung sattsame Proben gegeben.

38. Alle Kinder in Herrnhut, welche sich zu Christo bekennen werden, sollen konfirmiert und ihnen sodann diese Statuten zur Überlegung gegeben werden.

39. Keine Oberkeit, kein Lehrer, Ältester oder Vorsteher, oder der in einigem Stück über die anderen gesetzt ist, soll sich seiner Gewalt auf andre Art bedienen, als daß er einen Gehilfen ihrer Freude und Seligkeit und einen sorgfältigen Helfer in ihren Leiden, Trübsalen oder Mangelhaftigkeit abgebe.

40. Die sämtlichen Gott liebenden Gemüter sollen in der Gemeinschaft und herzlichem Umgang mit andern ihresgleichen keinen ausnehmen. Da sie es aber gegen alle täten, sollen sie sich gegen die Ältesten erklären, daß es aus keinen andern Absichten als um ihres selbsteignen Nutzens willen, aus unverarglichen Ursachen geschehe, da denn die andern ihrer schonen sollen.

41. Es soll einem jeden frei stehen, den andern in Liebe zu erinnern und zu bestrafen, er habe gleich Grund dazu oder nicht. Es soll aber dergleichen mit großer Bescheidenheit geschehen, und solange einer in Heftigkeit ist, darf ihn der andere nicht anhören. Auch müssen wir mit des andern Entschuldigung entweder zufrieden sein oder andre Brüder dazu nehmen.

42. wenn wir Verfolgung erleiden sollten, so soll ein jeglicher wohl bedenken, daß solches teure und hochnützliche Übungen sind; die solche ausüben, lieben, ehrerbietig begegnen, auf alle Fragen bescheidentlich und einfältig antworten, und mit getrostem Wesen in alles, was ihm begegnet laut seines Bekenntnisses hineingehen.

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