Freitag, Mai 01, 2009

Die Statuten von 1727 - I. Herrschaftliche Gebote und Verbote

Die Herrnhuter Statuten von 1727, quasi die Ordnung des Lebens in Herrnhut, zitiert nach "Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder - Quellen zur Geschichte der Brüder-Unität von 1722 bis 1760", Friedrich Wittig Verlag 1977:

I. Herrschaftliche Gebote und Verbote

1. Die ersten Werkmeister in diesem Bau und die ersten Einwohner, welche in der Chronika Fol. 1 benennt sind, sollen, solange sie leben, von allen Einwohnern Ehrerbietung und Liebe, und von der Obrigkeit des Orts aller besondern Freundschaft und Beförderung genießen, auch in bequemen Dingen allen Einwohnern vorgezogen, in der Mitleidenheit aber, wenn daselbst wohnen, soviel möglich verschont, auch sie und ihre Häuser (soviel an der Herrschaft) von aller Einquartierung auf ihre Lebenszeit frei erklärt werden.

2. Herrnhut soll zu ewigen Zeiten von aller Dienstbarkeit, Leibeigenschaft u.s.w. mit allen seinen statutenmäßigen Einwohnern frei gesprochen sein, und da sie eine nachkommende Herrschaft darzu nötigen wollte, Ihro diesfalls zu gehorsamen nicht schuldig sein, auch durch Eid, Güte oder Ernst jemals darzu verpflichtet werden können.

3. Ein jegliches Haupt jeder Familie hierselbst männlichen Geschlechts und was sonst Hantierung für sich treibt, gibt einen Taler Schutzgeld, einen Taler Grundzins von einem eigenen Hause, sonst aber den gehörigen Pacht vom Hause, Garten oder Felde, wie solcher vorher mit ihm insbesondere ausgemacht worden. Hantierungsgeld aber wird von jedwedem, der dergleichen wirklich mit Nutzen treib, für seine Person jährlich verwilligt, soviel er selbst geben mag, oder wie solches der Taxiermeister und die Gemeinde für gut erkennt. Solches Hantierungsgeld soll alsdenn dem Taxiermeister eingeliefert und al freiwillige Gabe, welche auch bei denen eigentlich und zu den Statuten verbundenen Brüdern einen Taler nie übersteigen, aber nach Gelegenheit drunter gesetzt werden soll, alsdenn zur Notdurft der Gemeinde redlich angewendet, und den Ältesten berechnet werden.

4. Außer dem, daß die Einwohner künftig hin nach Proportion derer Äcker und Felder mit der Gemeinde zu Berthelsdorf in gewissen allgemeinen Fällen z.E. zu Erhaltung des Soldaten, zur Kirchen Bau heben und legen, soll sich der Landesverwilligungen und Gewerbesteuern keiner weigern, auch eine proportionierliche Anlage zu Konservation des Weges und der Brunnen (wobei die Gemeinde auch ohne Entgelt Hand legen muß) so oft von den Ältesten gemacht werden.

5. Ein jeder für sich selbst subsistierender Kopf in Herrnhut hat, so oft ihn die Reihe trifft, entweder selbst oder durch andere auf seine Unkosten die Wache auf Herrnhut zu verrichten, und sind alle Einwohner von 16 bis 60 Jahren hierzu verpflichtet.

6. Ein jeder Einwohner in Herrnhut soll sich darzu bekennen, untertan zu sein der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, und daß keine Obrigkeit ohne von Gott sei.

7. Ein jeder Einwohner zu Herrnhut soll arbeiten und sein eigen Brot essen. Wenn er aber alt, krank und unvermögend ist, soll ihn die Gemeine ernähren.

8. Wer ein eigen Haus bauen will, soll sich erst deswegen bei den Ältesten melden, das Werk überlegen, warten bis ihm der Platz angewiesen wird, nicht einen Fuß breiter weiter hinaus, auch nicht weiter herein rücken, so hoch und niedrig als es ihm anbefohlen, in solcher Gestalt und in allem nach der Vorschrift bauen. Desgleichen soll einer gestalten Dingen nach tun, im Fall er Feld oder Garten zu seinem Hause erlangt.

9. Sobald einer das Haus unter das Dach gebracht, soll er seinen Brief darauf einrichten und fertigen lassen. Von dem an, daß er es nutzen kann, wird der Pacht oder Grundzins angerechnet.

10. Ein jeglicher soll zur Verbesserung, sobald der Weg in beständigen Stand gesetzt ist, soweit sein Haus geht, verbunden sein, bis an den Platz, wo die alte Straße wieder ihren Anfang nimmt.

11. Vorne heraus soll kein Hauswirt Streu oder anderen Unrat hinauswerfen, soll alles im Hof, Garten oder Feld sammeln.

12. Wer an den Brunnen, Weg oder Häusern durch seine Schuld etwas verdirbt, solls wieder gut machen.

13. Es soll keinem Tanzen, Gelage, Gäste setzen, außer für fremde Durchreisende, von keinem Bierzug, häufigen Speißen bei Hochzeiten, Kindtaufen oder Begräbnissen, noch von den gewöhnlichen Spielen unter den Einwohnern etwas zu hören sein. Wer aber darzu Lust hat, soll sich aus Herrnhut wegbegeben.

14. Die Hauptplätze und Straßen sollen reinlich und sauber von den daherum wohnenden gehalten und alle für Kinder, alte und gebrechliche Leute gefährliche Örter sorgfältig verwahrt werden.

15. Wer borgt, soll auf die Stunde wieder bezahlen, da er es versprochen, es wäre denn erhebliche und gleich erweisliche Ursachen vorzuwenden, daß er sein versprochen Wort nicht halten könnte. Und soll bei Eröffnung der Ursachen zugleich eine andere Zeit benennet werden, zu zahlen. Wer aber leiht, soll solche Zeiten und Stunden setzen, da er vermutlich wieder bezahlt werden kann. Auch soll sich niemand etwas bestellen, daß er nicht zu gesetzter Zeit bezahlen kann, weil keinem Handwerker sein Lohn auf einen Tag wider seinen Willen zurückgehalten werden darf.

16. Diejenigen, welche über Häuser, Felder, Gärten, Brunnen, Straßen und Taxe gesetzt sind, sollen in ihrem Amt fleißig sein, und da sie auch fehlten, ihnen ohne Vorwissen der Ältesten nicht entstanden und ungehorsamt werden.

17. Wer sich in Herrnhut häuslich niederlassen will, soll sich erst bei den Ältesten melden, keiner aber ohne ihr Vorwissen auch nur eine Nacht durch gehegt werden.

18. Wer eigene Hantierung oder Handel anfangen will, soll sich deshalben zuförderst bei den Vorstehern melden, um ins Buch eingetragen zu werden, damit niemand dem andern zu Schaden oder Untergang etwas vornehme. Monopolia hergegen, da einer allein für sich und mit Ausschließung und Hinderung anderer hantieren dürfe, sollen ohne die wichtigsten Ursachen nicht geduldet werden.

19. Seinen Beruf soll in Herrnhut keiner ohne Vorbewußt der Ältesten ändern, viel weniger seinem Meister aus der Lehre gehen ohne des Erlaubnis und der Ältesten Vorwissen.

20. Kein Streit in Herrnhut soll länger als 8 Tage währen. Auch soll eher keine Klage angebracht werden, als wenn keine Güte (und zwar binnen dieser 8 Tage) verfangen will. Alsdenn soll die Sache vor die Konferenz bracht und daselbst dergestalt geschlichtet werden, daß in einer Stunde Kläger und Beklagter aus einander gesetzt, das Werk gehoben und, ehe die Sonne untergeht, der Anstoß aus dem Wege geräumt. Alles auf Unkosten dessen, der dem anderen zu viel getan.

21. Wer sich unterfähret, eine förmliche Rechtsanklage anzubringen und Schikanen zu machen, der soll Herrnhut räumen.

22. Aller Betrug und Übersetzung seines Nächsten soll für eine Infamie angesehen werden. Grobe heidnische Sünden als Hurerei und Buben, Fressen und Saufen, Fluchen und Schwören, Lügen und Trügen, Stehlen und Rauben, Schlagen und Raufen soll in Herrnhut entweder gar nicht oder nicht lange gehört, so dergleichen Anstoß und Ärgernis entweder zeitlich oder ewig des Orts verwiesen werden.

23. In Herrnhut soll keiner ohne ausdrücklichen Vorbewußt der Herrschaft, worum und wozu, auf Wucher leihen oder borgen.

24. Es soll keiner vom anderen Geld leihen, der nicht gegründet Ursache darzu hat und solches nicht wohl meiden kann.

25. In Herrnhut soll kein Marktschreier, Quacksalber, Seil- oder Bärztänzer, Glücksbeutler, Taschenspieler oder einiger anderer Gaukler oder Kuriositätenkrämer ausstehen dürfen.

26. Wenn die Gemeine mit jemandem durch einen ihres Mittels handelt, so soll die ganze Gemeine dafür billig stehen, seine Vollmacht aber zuvor vom Vorsteher und Ältesten unterschrieben werden. Tut aber einer im Namen der Gemeine etwas auf seine Hand, so soll derselbe dafür mit allem dem Seinen ja mit seiner ganzen Person haften, auch nach Wichtigkeit der Sache gar von der Gemeine ausgestoßen werden.

27. Es sollen ohne Licht keine Zusammenkünfte gestattet werden.

28. Wir sollen in Herrnhut durch wahre Unordnung, bösen Schein, Ungehorsam gegen die Obrigkeit sonderlich den Landesherrn, dem wir in allen Dingen untertan sein sollen, uns keine Verfolgung selbst zuziehen.

29. Sollte jemand durchs Verhängnis Gottes und eigene Schuld in Wahnsinn verfallen, soll an ihm Gottes Barmherzigkeit bewiesen, und er selbst freundlich getragen, den Verständigsten untergeben, von ihnen nach Leib und Seel gepflegt, im übrigen aber davon nicht geredet, und so er wieder zurecht kommt, vom vorigen nicht gesprochen werden.

30. Alle Montage früh wird dasjenige, was in der Versammlung der Ältesten beschlossen worden, öffentlich zu jedes Nachricht und unfehlbarer Folge bekannt gemacht werden.

31. Die Männer sollen ihre Weiber nicht hart halten oder gar schlagen, die Weiber aber ihren Männern alle Untertänigkeit leisten und sich nicht unterstehen, ihnen Regeln vorzuschreiben. Eine Frau, die für herrschend gehalten wird, soll deswegen erinnert werden.

32. Kein Sohn noch Tochter soll ohne Vorbewußt der Eltern beiderseits freien oder auch darzu Bekanntschaft machen. Keine Geschwächte [Schwangere] darf ordentlicher Weise in Herrnhut heiraten weder den Täter noch einen anderen.

33. Sobald ein Mann gestorben, sollen sich die darzu gesetzten Ältesten der Witwen annehmen und die Waisen ernstlich anbefohlen sein lassen. Sobald eine Frau gestorben, soll zu Erziehung der Kinder dem Witwer Rat geschaffen werden.

34. Kein Schuldner soll eine Witwe oder Waise, wo sie nicht notorisch wohlhabend, die ersten 4 Wochen angreifen, aber eine jegliche Witwe oder Waise die Umstände des Hauses nach dem Falle sobald möglich den Ältesten offenbaren.

35. Kein Einwohner in Herrnhut soll in Ansehung des kirchlichen Wesens zu Berthelsdorf zum Anstoß anderer urteilen oder handeln, sondern Liebe und Weisheit dabei brauchen.

36. Keiner soll seinem Nächsten Proben der Liebe und Guttätigkeit zumuten, die unbillig und hart sind, widrigenfalls soll die Vergünstigung darzu für nichtig erklärt werden.

37. Wer aus fremden Landen anhero kommen ist, der kann sich allezeit, jedoch wenn er beweibt, in Diensten oder sonst in ein Geschäft verwickelt ist, nicht ohne Vorbewußt der Ältesten und der Herrschaft wieder nach Hause wenden. Wer aber nur verreisen will, soll solches den Ältesten zuvor bekannt machen, ehe er verreist.

38. Wer der katholischen Religion zugetan gewesen, kann unverwehrt hiesiges Orts Herrschaft bei derselben verbleiben und doch alles Guten genießen, solang es die Stände erlauben.

39. Wer sieht, daß ein Wagen umschlägt, Pferde stecken bleiben, Leute gefährlich fallen, der Straße verfehlen, oder sonst seinen Nächsten in einigem Kummer sieht, der soll sogleich herzu eilen, seinem Nächsten zu helfen. Wer aber dasselbe nicht tut, oder gar mit geschlagenen Armen dergleichen Unfall zusieht, soll, wenn er ein und andermal ermahnt worden, für den Schaden, so daraus kommen, mit haften, und für einen leichtsinnigen Menschen gehalten, auch im Fall der Not wieder sitzen gelassen werden.

40. Der Berthelsdorfer Pfarrer soll den Leichen, da es verlangt wird, mit der Schule bis an das Brau- oder Schäferhaus entgegenkommen, weiter hinaus aber nicht, hingegen aber die Herrnhuter Kinder mit ihrem Praezeptor jedoch ohne Kreuz und dergleichen Zeremonien sie bis dahin begleiten.

41. Weil es nicht zu vermuten, daß alle Einwohner in Herrnhut einerlei Sinn nach Christo haben, so wird davon nur ein redlich Bekenntnis verlangt, und alsdenn einem jeden von den Statuten soviel zu unterschreiben gegeben, als sich für ihn schickt. Es muß aber in äußerlichem ordentlichem und gutem Wandel darum durchgehen, weil die Zahl derer, die den Sinn Christi haben, für jetzo und bei Aufrichtung dieser Statuten die größte und Herrnhut ihrethalben erbaut. Niemand aber ist hier zu bleiben genötigt, sondern allenfalls sich im Dorf anbauen kann, der vorhin hier nicht gewohnt.

Gegeben auf der Herrnhut am 12ten Mai 1727, Zinzendorf

1 Kommentar:

  1. Ludwig6:16 PM

    Die am Ende gegebene Möglichkeit, nur diejenigen Satzungen zu unterschreiben, die man mit ehrlichem Gewissen vertreten kann, finde ich interessant. Das habe ich noch nirgendwo anders so gesehen.

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