Sonntag, Dezember 04, 2011

Ein Bericht über Herrnhut 1820

Ein Bericht über Herrnhut 1820, von einem Herrn Christian Adolph Pescheck (1752-1826):

Quelle (mit Bildern der erwähnten Häuser):

Herrnhut ist hoch gelegen, nach v. Gersdorfs Angabe 1054 Fuß über der Meereshöhe, mithin 291 Fuß höher als Zittau. Von dieser Stadt ists 1 1/2 Meile, von Löbau 1 gute Meile, von Rumburg 1 1/2 Meile und von Bernstadt eine Stunde entfernt.

Bei diesem weltberühmten und einflußreichen Orte (denn so, weder Stadt, noch Städtchen, noch Marktflecken, noch Dorf wird genannt) darf ich nicht blos beschreibend, sondern muß auch geschichtlich dabei verweilen, obwohl nur in der Kürze. Ist es auch Vielen etwas Bekanntes, so ists doch ein Bedürfniß manches Lesers, der zum erstenmal in diese Gegend kommt und sich durch gegenwärtige Schrift auch auf die Betrachtung Herrnhuts vorbereiten will.

Billig müssen wir zuerst unsre Aufmerksamkeit auf den hochverdienten Stifter dieses Ortes und die Entstehung desselben richten.

Nikolaus Ludwig, Graf von Zinzendorf und Pottendorf war zu Dresden, den 26. Mai 1700, geboren, Sohn eines sehr geachteten kursächsischen Geheimraths, und erzogen theils zu Großhennersdorf bei Zittau, theils, 6 Jahre lang, im Pädagogium zu Halle; mußte seit 1716 in Wittenberg Jura studieren, that dies auch gewissenhaft, verband aber in seinen Nebenstunden das Studium der Theologie damit, bereiste Holland, Frankreich und die Schweiz und ward 1721 Hof- und Justitienrath zu Dresden.

Wie kam nun dieser zu der ausgezeichneten religiösen Wirksamkeit, zur Erneuerung der Brüdergemeinde und zur Stiftung Herrnhuts? Sein Gemüth wußte erst selbst eine vorzügliche religiöse Richtung nehmen, es mußte die Lust zu religiöser Thätigkeit nach außen geweckt werden und sich auch bestimmte Gelegenheit zu solcher Thätigkeit finden. Drei Umstände vereinigten sich, diese dreifache Erforderniß zu erfüllen.

a) Seine Großmutter, die verwittwete Landvoigtin von Gersdorf auf und zu Großhennersdorf, eine eben so gelehrte, als auch religiöse Frau, gab, nebst seinem Lehrer Edeling, ihm eine sehr religiöse Erziehung. Sein religiöses Gefühl entwickelte sich hier zu großer Lebhaftigkeit, und die beiden trefflichen Männer, Spener, der sein Pathe war, und den er als Kind bei seiner Großmutter auch persönlich kennen lernte, und der unsterbliche August Hermann Franke, der in Halle sein Vorgesetzter war, mochten nicht geringen Einfluß auf sein Gemüth haben.

b) Dazu kam ein Umstand der ihn zur Thätigkeit nach außen weckte. Auf seinen Reisen sah er in der berühmten Gemäldegalerie zu Düsseldorf ein schönes Eccehomo, (d.i. Bild Christi, wie ihn Pilatus gegeißelt vorstellt) mit der Unterschrift: "Das that ich für dich, was thatst du für mich?". Dies machte einen so tiefen Eindruck auf sein Herz, daß er von nun an hauptsächlich mit dem Gedanken umging, selbst für die Sache Christi soviel als möglich zu thun.

c) Von der alten böhmischen und mährischen, damals bedrückten Brüdergemeinde, welche aus Nachkommen der echten Hussiten bestand und 1456 ihre Unität geschlossen hatte, kamen einige, von einem gewissen Christian David geführt, welcher ein Zimmermann und sonst katholisch gewesen war und Zinzendorfen auf Reisen, durch den frommen M.Schäfer in Görlitz, kennen gelernt hatte, nach Berthelsdorf bei Zittau, welches Gut Zinzendorf von seiner Mutter 1722 eben gekauft hatte, und baten um Aufnahme. Jetzt erhielt Zinzendorfs religiöse Thätigkeit eine bestimmte Richtung.

Nun beginnt der Grund zu dem jetzt so weitumfassenden Baue der herrnhutischen Brüdergemeinde. Das erste Haus Herrnhuts glich dem Senfkorn im Evangelium, dessen ihrer Zinsendorf schon in Halle begeistert, als er mit seinen Freunden, fast Knabe noch, einen Senfkornorden stiftete.

Man wies, ohne noch zu ahnen, was nachmals daraus sich bilden würde, den Ankömmlingen aus Mähren Platz zu einem Anbau am Hutberge bei Berthelsdorf, welches nördlich davon im Thale liegt, an. Das erste Haus, von David selbst gebaut, an dem Orte, wo jetzt der Kupferschmidt wohnt, ward den 7. Oktober, 1722, bezogen. Immer mehrere siedelten sich an, so daß in 10 Jahren schon 600 Menschen hier wohnten. Man vereinigte sich, durch die Bemühungen des Grafen Zinzendorf, seines Freundes, Freiherrn Friedrichs v. Wattewille aus Bern und des Bertheldorfers Pfarrers Rothe, über die religiösen Hauptgrundsätze, die man befolgen wollte und es ward eine kirchliche Verfassung gegründet, bei deren Entwurfe den Grafen theils die Verfassung der apostolischen Kirche (daher man die Agapen oder Liebesmahle, das Fußwaschen und die Einfachheit des Gottesdienstes nahm) theils, nach dem dringenden Wunsche der Exulanten, die Verfassung der alten mährischen Bruderkirche leitete, und die man als freiwilliges Einverständnis allgemein annahm, 1727. Diese Vereinigung der Brüder, unter Zinzendorfs Leitung, der jetzt ganz für diese Sache lebte, nannte man erneuerte Brüderunität.

Nicht eine besondere Religionspartei wollten sie bilden, sondern sie lassen sich zu den Augsburgischen Confessionsverwandten zählen und setzen ihr Eigenthümliches in eine genauere Verbindung oder Verbrüderung zur Gottseligkeit, zur Reinheit des Glaubens und des Thuns, in ein inniges Anschließen an die Lehre von der Versöhnung, wenn auch in manchen Nebenlehren nicht alle einerlei Meinung wären, (in welchem Falle sie Streit vermeiden und ihn "um die Liebe Jesu willen begraben" wollen, in Behandlung der Religion vorzüglich als Sache, des Gefühls und der Phantasie), und in das Besondre ihrer Disciplin.

Der neu entstandene Ort ward, nach Angabe des Haushofmeisters Heitz, Herrnhut genannt, weil man ihm die Hut des Herrn wünschte und weil er an den Hutberg gebaut war.

Zinzendorf wollte selbst in den geistlichen Stand treten und Religionslehrer werden. Mit Theologie hatt er sich von jeher am liebsten beschäftigt. Daher legte er seine Hofrathsstelle nieder, ging 1734 nach Stralsund, wo er sich als Candidat examinieren ließ und predigte, so wie auch in Tübingen, wo ihn die theologische Facutät in den geistlichen Stand förmlich aufnahm. In Berlin ward er vom Hofprediger D.E.Jablonsky (welcher ein Enkel des berühmten Brüderbischofs und pädagogischen Schriftsteller Comenius, und zu Lissa zu einem Bischofe der mährischen Brüder geweiht war, welche ihre Ordination auf die Waldenser, aufs Jahre 1467, zurückführen) mit Zustimmung des Königs selbst zum Bischof der Brüderkirche ordiniert, 1737. In Berlin hielt er Privatandachten in seiner Wohnung, die so häufig besucht wurden, das eines Tages nicht weniger als 42 Equipagen vor seiner Wohnung standen.

Im Vaterlande aber wurde er verfolgt, auch, da der Wiener Hof sich am sächsischen über die Begünstigung mährischer Auswanderer zu Berthelsdorf, beschwert hatte, genöthigt, sein Gut zu verkaufen, welches seine erste Gemahlin, eine geborene Gräfin Reuß, annahm. 1736 ward er sogar Landes verwiesen, jedoch ward 1747 dieß Urtheil zurückgenommen.

Während dieser Zeit machte er viele Reisen, nach Holland, England, Liefland u.s.w., um seinen Grundsätzen Freunde zu suchen; auch dreimal nach Nordamerika, als Heidenlehrer unter den Wilden. 1749 hatte er die Freude, daß der Brüdergemeinde, nachdem sie sich vor vielen Comissionen, 1732, 1736, 1737 und 1748 hatte verantworten und von einzelnen Theologen viele Schmähschriften hatte erdulden müssen, freie Religionsübung wirklich bewilligt ward.

Nach einem Leben von überaus großer Thätigkeit, zu welcher auch viele Schriftstellerarbeiten gehören, starb dieser ausgezeichnete, verdienstvolle Mann, den 9. Mai 1760, 60 Jahre alt, zu Herrnhut. Seine Ruhestätte bezeichnet ein großer Grabstein in der Mitte des Herrnhuter Gottesackers.

Nach ihm erwarb sich der Bischof Spangenberg, welcher 1792 starb, große Verdienste um die Brüdergemeinde. Ihm verdankt man auch die schätzbare Schrift: Idea fidel fratrum.

Von manchen früheren Verirrungen kam die Gemeinde mit der Zeit zurück, z.B. von den spielenden Ausdrücken in Zinzendorfs geistlichen Liedern. Überhaupt bildete sie sich immer mehr.

Die einzelnen Eigenheiten der Gemeinde werden sich nun bei Betrachtung der mertwürdigsten Gegenstände des Ortes am besten darstellen lassen.

Herrnhut ist ein offener Ort, ohne Thore und hat nur etwas über 100, meist kleine Häuser, in wenigen Gassen (der Zittauer, Löbauer, Berthelsdorfer und der neuen) und 1100 Bewohner. An der Stelle der alten hölzernen Häuser sind schon meist neue getreten. Fast alle zeichnen durch Nettigkeit sich aus. Überhaupt wird Reinlichkeit und Zierlichkeit hier auch bei den Ärmsten gefunden. Wer nun das Einzelne kennen lernen will, muß auf folgende Punkte, die wir, der Übersicht wegen, anmerken wollen, seine Aufmerksamkeit richten.

a) Das Gemeinlogis ist ein geräumiger Gasthof mit vielen netten Zimmern. Das Geräusch, das sonst in Wirthshäusern, bei Musik, Tanz, Spiel, Rausch u. dgl. statt findet, wird hier nicht gestattet.

b) Der Betsaal ist nicht weit davon, in einem schönen Gebäude mit einem Glockenthürmchen. Das Gebäude enthält einen, 1757 eingeweihten, großen Saal, hoch und licht, zur Gottesverehrung bestimmt. Seine hohen Fenster, an der Zahl 14, sind mit weißen Vorhängen gewöhnlich bedeckt. Kanzel und Altar finden hier nicht statt. Der Prediger (der Ortspfarrer, oder ein Helfer, oder ein fremder Bischof oder Prediger, ohne die sonst gewöhnliche Predigerkleidung) sitzt oder stehet an einem grün-behangenen Tischchen und neben ihm sitzen auf erhöhten Bänken die Aeltesten und Aeltestinnen der Gemeinde. Nur auf einer Seite ist 1 Emporkirche. Im Saale stehen die Bänke für die Gemeinde, so daß der Prediger links die Männer und rechts die Frauen vor sich hat. Dreimal des Tages finden religiöse Zusammenkünfte statt; nämlich Vormittags ist Kinderstunde, Abends um 7 Uhr Gemeinstunde, um 9 Uhr Singstunde. Da in einem so kleinen Orte jeder nicht weit zum Betsaal zu gehn hat, so trifft jeder während des Läutens noch ein und kein Späterkommen stört die Gemeinde. Die Zeit der Versammlung dauert kurz. Musterhaft ist der sanfte Gesang der von leisen Orgelspiel begleitet wird. Oft werden die Zeilen vor dem Singen von den Liturgen vorgesprochen. Die Communionfeier geschieht Abends nach einem Liebesmahle. Brod und Wein wird in den Reihen herumgegeben. Das Brod wird gebrochen, letzterer ist roth, alles der Stiftung gemäß.

c) Unter dem nämlichen Dache ist eine Erziehungsanstalt für Mädchen, (eine für Knaben ist in Niesky), darunter auch Fremde, welche nicht Glieder der Gemeinde sind, ihre Kinder gern her thun; ferner die Predigerwohnung, ein Saal zu gottesdienstlichen Versammlungen der Kinder u.s.w.

d) Schulen. Eine Mädchenschule ist in eben diesen Gebäude, eine Knabenschule in einem Hause unweit des Gemeinlogis.

e) Chorhäuser: Eine eigenthümliche, nach und nach entstandene Einrichtung. Wer nicht eigene Familie und Wirtschaft hat, findet sein Unterkommen in einem von diesen Häusern. Es sind deren 4, ein Brüderhaus, ein Schwesternhaus, ein Witwerhaus und ein Witwenhaus.

Das Brüderhaus, unweit des Gemeinlogis, wo ledige Mannspersonen (etwa 200) wohnen und ihr Gewerbe treiben, enthält Werkstätten, Wohnstuben, einen Betsaal mit Orgel, einen Speisesaal, Schlafsäle u.s.w. Hier arbeiten Gold- und Silberarbeiter, Tischler, Huthmacher, Schuhmacher, Bandmacher, Schneider, Beutler u.s.w. Überall herrscht Ordnung, Nettigkeit und reger Fleiß. Auch alle wirtschaftlichen Geschäfte werden von den Brüdern verrichtet. Man wird, auf Verlangen, darin herumgeführet, und es ist dafür der Höflichkeit gemäß, etwas zu kaufen, wozu man im Brüderladen, der meist sogenannte Galantteriesachen enthält, genug Gelegenheit hat. Sind auch diese Waaren etwas theuer, so zeichnen sie sich dafür durch Güte und Schönheit der Arbeit sehr vorteilhaft aus. Die Waaren der hiesigen Tischler, Huthmacher und Bäcker sind besonders berühmt. Im Brüderhause ist auch eine schöne Sammlung ostindischer Conchylien zu sehen.

Das Schwesterhaus ist ein schönes Gebäude hinter dem großen Betsaale und hat ebenfalls viele Säle und Zimmer. Anständige Fremde werden auch hier herumgeführt. Man trifft hier Mädchen aus vielen Ländern und in den entferntesten Colonien, z.B. St. Thomas, in Westindien geboren. Viele bleiben Zeitlebens im Schwesternhause. Sie zeichnen sich durch sehr feine Arbeiten, besonders sehr geschmackvolle Stickereien u. dgl. aus.

Das Chorhaus der Witwer ist neben dem Brüderhause, das der Witwen ist dem Schwesternhause gegenüber.

Daß man übrigens die Frauenzimmer an ihren Bandschleifen erkennt, ist bekannt; in dem Jungfrauen rosenfarbnes, Frauen blaues und Witwen weißes, kleine Mädchen aber hochrotes Band tragen.

f) Das sogenannte Asperhaus, eigentlich Diasparahaus, ist zur Aufnahme fremder Glieder und Freunde der Gemeinde (deren sich in dieser Gegend auf den meisten Dörfern befinden) bestimmt, wenn sie einmal Herrnhut besuchen.

g) Das Handlungshaus. Der Handel blüht in Herrnhut (das freilich die erste Zeit, ehe geschickte Fremde herkamen, sich mit kümmerlichen Erwerb behelfen mußte) durch die Bemühungen Abraham Dürningers aus Straßburg, seit 1748. Hier wird theils den Webern dieser Gegend viel von ihren Waaren abgekauft; theils werden fremde, besonders Material-Waaren verkauft. Die Handlung geht auf Rechnung der Bruderunität. Auch giebt es hier eine Eisenhandlung, Lederhandlung, Porcellan- und Steinguthandlung, Lackirfabrik u.s.w.

h) Die Posthalterei befindet sich in einem Hause in der Straße, die vom Gotteshause nach Löbau führt.

i) die Apotheke ist vorzüglich gut.

k) Die vorzüglichsten Privatgebäude sind: das Reustische Schlößchen an der Zittauschen Straße, das herrschaftliche Haus, dem Gemeinlogis gegenüber, und das Blumenthalsche. Oft suchen vornehme Fremde hier Wohnung, weil manche gern den Rest ihrer Tage in dem schönen, stillen Herrnhut beschließen wollen.

l) Begräbnisplatz. Bald hinter dem Betsaale beginnt eine Lindenallee, welche zu diesem berühmten Ruheplatze oder Begräbnisgarten führt. Er ist ein, mit Hecken eingeschlossener, von Alleen durchschnittener und mit Lauben und Ruhebänken umgebener, großer Platz an einem sanften Abhange, wo die Entschlafenen in regelmäßigen Reihen beerdigt werden und kleine Grabsteine erhalten, welche Namen, Geburts- und Sterbetag und oft die Angabe sehr entfernter Geburtsörter, z.B. Westindien u.a. erhalten; links für die Männer, rechts für die Frauen. Den Eingang bildet ein grünes Thor mit der Inschrift "Christus ist auferstanden von den Todten"; und auf der Rückseite: "Er ist der Erstling worden unter denen, die da schlafen". Die Begräbnisse geschehen Nachmittags mit sanftem Gesang und Posaunenhall. Man begleitet den "Heimgegangenen", der in einem weißen Sarge ruht, aus der Leichenkammer hinter dem Betsaale, ohne Trauerkleider, zur Ruhestätte, wo Gesang und Gebet statt findet. Sein Lebenslauf war zuvor im Betsaale besprochen. Am feierlichsten ist der Besuch dieses Todtengartens am Ostermorgen.In den frühsten Stunden versammelt sich die Gemeinde und zieht dann, wenn das Wetter günstig ist, mit Sonnenaufgang auf den Begräbnisplatz wo, nach Gesang und Gebet der Heimgegangenen gedacht wird. Gewöhnlich nehmen auch viele Fremde an dieser Feierlichkeit Antheil.

m) Hutberg. Auf seinen basaltischen Gipfel, der ehedem ganz mit Nadelholz bewachsen gewesen ist,steht ein runder Pavillon, unweit des Gottesackers, von wo man eine sehr schöne Aussicht geniest, besonders oibtben von der Galerie. Will man diese besteigen, so hat man sich schon im Gemeinlogis den Schlüssel dazu auszubitten (Anm. das ist noch heute so, Schlüssel gibts in der Comenius-Buchhandlung, im Fremdenverkehrsamt oder in der Gaststätte Hutbergkeller, M.S.). 1790 ließ der Holländer (Matthias Beuningh) dieß Gebäude errichten.

n) Gärten sind beim herrschaftlichen Hause (der zum Spazierengehen erlaubt ist) beim Brüder- und Schwesternhause, und besonders hinter dem Reußischen Schlößchen. Letzter ist im englischem Geschmacke angelegt und hat Berg (Heinrichsberg, von Granit, mit einem Steinbruche an seinem westlichen Flügel) und Thal. Oben ist ebenfalls ein Pavillon mit trefflicher Aussicht. Auch ist der Kaufmannsgarten zu erwähnen. In dem einen steht ein sehr sehenswerter Apfelbaum, in welchem eine Laube angebracht ist, mit Latten und Apfelzweigen umzogen. Wie schön, wenn diese blühen! Auf einem andern eine zweistöckige Laube auf einen gleich dazu erzognen Lindenbaume, von seltener Schönheit.

Die Polizeianstalten sind musterhaft, besonders auch in Hinsicht des Armenwesens und des Feuerlöschens.

Die Kleidung der Herrnhuter und Herrnhuterinnen ist einfach: Die der letzteren hat, nach alter Übereinkunft, manches Besondere, das wenigstens im Orte beobachtet werden muß. Da hier Bälle, Schauspieler, öffentliche Concerte u. dgl. nicht statt finden, so bestehen die Erholungen in stillen Vergnügungen, z.B. Spazierengehen, Besuchen, Reisen, Lesen, Zeichnen u. dergl.

Was die politische Verfassung des Ortes anlangt, so ist der Ort von Erbunterthänigkeit und Hofediensten, die er nach Berthelsdorf zu leisten haben könnte, durch einen Zinzendorfschen Freibrief von 1723, befreit. Die Gemeinde besitzt auch seit 1770 ihren Grund und Boden eigenthümlich, gegen einen jährlichen Erbzins. Die Schutzherrschaft ist gegenwärtig Fräulein Charlotte Gräfin von Einsiedel, Tochter des verewigten geh. Cabinets-Ministers Grafen von Einsiedel, Standesherrn zu Seidenberg u.s.w. Die Einwohner zahlen ein Schutzgeld. Die Gerichtsbarkeit verwaltet ein Justitiar.

Viele herrnhutitische Einrichtungen wären allgemein wünschenswerth, in des sind manche wirklich nur an so kleinen Orten ausführbar.

Jährlich, gewöhnlich im Mai, wird hier eine große Predigerconferenc gehalten, welche den Herzen immer frisch Wärme für die Sache des christlichen Predigtamts mitteilen soll.

Wichtiger wird uns dieser Ort, wenn wir diese Gemeinde als die Mutter so vieler andern nahen und fernen betrachten. Man denke an die Gemeindeörter: Niesky, seit 1792 (wo das Seminarium oder Collegium academicum, gleichsam die Universität der Gemeinde, befindlich ist) und Kleinwelke, 1756, in der Oberlausitz, in Gnadenberg, 1742, Gnadenfrei, 1743, Neusalz, 1745, und Gnadenfeld, 1780, in Schlesien, an Barby, 1748, wo das Pädagogium ist, Ebersdorf, 1745, Neudietendorf, 1742, Gnabau, 1767, Christiansfeld, Zeyst, an Fulnek, Fairfield und Gracefield in England, an Satreptu in Südrußland, 1765 und an die Gemeindedörfer in Nordamerika, z.B. Betlehem und Nazareth, und an West-Indien; an die Gemeinden zu Rückersorf, 1737, Berlin, 1744, Basel, Neuwied, Copenhagen, Stockholm, Amsterdam, Hatlem, Dublin, Petersburg, Moskau, Philadelphia u.a. Des Schutzes der Regierungen haben sie sich würdig bewiesen, sich weislich allenthalben, in die Umstände geschickt und durch Verträglichkeit und Thätigkeit sich empfohlen.

Alle diesen zerstreuten Gemeinden haben hier in Herrnhut ihren Mittelpunkt und werden von hier aus dirigiert. Dies geschieht durch die Unitätsältestenconferenz, welche aus 12 Gliedern, die zum Theil den Zustand dieser Colonien aus eigener Erfahrung kennen, besteht und seit 1789 ihren Sitz in Berthelsdorf nahe bei Herrnhut hat. Eine noch höhere Behörde für die Gemeindeangelegenheiten ist die zuweilen zusammengerufene Synode, welche aus angesehenen Gliedern aller Gemeinden besteht. Die letzte war 1818, eine Versammlung, einzig in ihrer Art. In zweifelhaften Fällen wird durch Los entschieden.

Die Unität hat auch die Gemeinschaftscasse zu verwalten, deren Zuflüsse aus Beiträgen, Vermächtnissen, Handelsgewinn und Einkünften von den Gemeindegütern bestehn.

Die Wichtigkeit dieses Ortes gewinnt bei der Betrachtung den höchsten Grad, wenn wir ihn als einen Lichtpunkt ansehn, von wo so viele Strahlen der Cultur unter rohe Völker ausgegangen sind. Zinzendorf selbst, der schon in Halle, bei dem vortrefflichen Franke, auf diese Idee gekommen war, nahm Heidencultur gleich in seinen Plan auf. Was jetzt endlich alle verständigen Christen einsehn, das Heidencultur unsere Pflicht sey, sah der Graf schon vor Hundert Jahren ein, und eilte also in dieser Hinsicht seiner Zeit gar sehr voran. Auch trieb die Noth viele der ersten Herrnhuter in die Ferne, weil die Aufnahme kaiserlicher Unterthanen in Sachsen vielen Streit verursachte. Daher wanderten sie lieber in weitere Ferne. Noth wird oft die Mutter trefflicher Dinge, so auch hier.

Die erste Mission ging auf Veranlassung eines Negers in Copenhagen, 1732, nach der dänischen Insel St. Thomas. Auch war der Graf selbst, wie schon gesagt, dreimal in Missionsangelegenheiten in Amerika. Der beschwehrlichste Posten der von Herrnhut ausgehenden Missionen ist wohl in dem ärmlichen Lande der Eskimos, und doch giebt es willige Brüder, die dort wirken wollen, aus Liebe zur guten Sache. Man kann in Herrnhut Männern begegnen, denen man es nicht ansehn würde, wieviel sie in fernen Gegenden der Erde erfahren, geduldet und geleistet haben, die nun in Herrnhut von ihrem mühevollen und verdienstlichen Tagewerke ausruhn und wenigstens durch ihre Erfahrungen und ihren Rath der Gemeinde noch immer nützlich werden.